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Kolumne

3.9.2024

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Von Hans Neubert & Martin Wenk

„Brat Summer“: Der laute Aufschrei einer neuen Generation

In der monatlichen Kolumne „Trend Slay“ schnappen sich Digital Media Experte Hans Neubert und Research & Analytics Experte Martin Wenk die aktuellen Trends im Digital Marketing, schütteln sie kräftig durch und servieren sie mit einer Extraportion Anwendungs-Insights für Marketeers. Hier werfen wir einen Blick auf die neuesten digitalen Strömungen, die die Welt um uns herum prägen, und fragen uns: "Sind wir in der Hype-Suppe etwa alle nur Croutons oder gibt es da draußen noch mehr zu schlucken?

Das steckt hinter dem „Brat Summer“: Social Media wird politischer denn je

Diesen Sommer weht ein neuer Wind durch die Social Media – oder besser gesagt, gar kein Wind, denn es ist ein glühend heißer „Brat Summer“! Angeführt von Charli XCX und ihrer limettengrünen Hymne, hat sich “brat” zu einem kulturellen Phänomen entwickelt, das eine ganze Generation anspricht. Während die „Clean Girl Aesthetic“ in den Hintergrund rückt, übernehmen klare politische Meinung, DIY-Lebensgefühl und unbeschwerte Lebenshaltung die Bühne. Der Sommer 2024 wird als der "Brat Summer" in die Geschichte eingehen, ein Phänomen, das durch das Zusammenspiel von Popkultur und politischem Diskurs entsteht. In einer Zeit, in der Social Media zunehmend politisiert wird, zeigt "Brat Summer" eindrucksvoll, wie ein virales Media-Phänomen tief in die gesellschaftlichen Strukturen eindringen kann - Marketing nicht nur auf Meta-Ebene, sondern ganz tief drin!

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Warum explodiert der „Brat Summer“?

Der Begriff „Brat Summer“ wurde durch die Veröffentlichung des Albums „BRAT“ der britischen Popsängerin Charli XCX im Juni 2024 inspiriert. Das Album zelebriert das Leben als „clubrat“, eine lebensbejahende, schlagfertige und beharrliche Hedonistin mit “fuck you”-Aditüde, die das Leben in vollen Zügen genießt. Die Kampagne rund um das Album war ein Paradebeispiel moderner Marketingstrategien: einprägsame und meme-taugliche Ästhetik, geschicktes Teasern, überraschende Kollaborationen und ein offline Stunt, der durch soziale Medien verstärkt wurde. Besonders wichtig war es, den Fans die Möglichkeit zur Teilnahme und Mitgestaltung zu geben. Der Erfolg von „Brat Summer“ liegt nicht nur in seiner eingängigen Melodie, sondern in einer tiefgreifenden Rebellion gegen die übermäßig kuratierte Online-Welt. Charli XCX wird so zur Missionarin gegen ein makelloses, gefiltertes Image für eine ganze Generation und setzt auf Authentizität und Individualität. Baggy-Jeans, zerfranste Tanktops und Feuerzeuge statt perfekt inszenierte Selfies sind das neue Ideal. Dieser ungefilterte Ansatz trifft besonders bei Gen Z und Millennials auf großen Anklang, da sie eine echte Verbindung und Authentizität suchen - ganz besonders im Social Web. 

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Ein Paradigmenwechsel im Marketing

Charlis Marketingstrategie ist ebenso gewagt wie das charakteristische Limettengrün, das sie definiert. Ihr simples, kleingeschriebenes Album-Cover ist überall zu finden. Diese Einfachheit steht im krassen Gegensatz zu den sonst so perfekt inszenierten und durchgestylten Kampagnen. Wer mitmachen möchte, kann Charlis „Brat Generator“ ausprobieren: eine leere Leinwand, auf der Personen sich selbst ausdrücken können. Damit verwandelt sich die Kampagne in eine kollaborative Bewegung, die der Anhängerschaft eine Stimme gibt.

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Politischer Einschlag: Kamala Harris und "Brat Summer"

Der "Brat Summer" erlangte eine neue Dimension, als Vizepräsidentin Kamala Harris die Brat-Memes im Rahmen ihrer Präsidentschaftskandidatur nutzte. Ein virales Video mit ihrer "coconut tree" Aussage, unterlegt mit Charli XCX’s Song „Von Dutch“, brachte die Memes ins Rampenlicht. Charli XCX selbst kommentierte auf X: „Kamala IS brat“, was eine Flut von Diskursen über die Verschmelzung von Popkultur und Politik auslöste. Statt sich über den offensichtlichen Versuch, jüngere Wählende anzusprechen, lustig zu machen, unterstützten viele die Kampagne, indem sie weitere Memes kreierten. Dies hält Harris im Gespräch, während sie ihre politische Plattform weiter aufbaut. Ein bemerkenswerter Move, dass Harris selbst die Memes nicht direkt erwähnte, sondern ihre Kampagne subtil daran anlehnt. Dies wirkt nicht gezwungen und ist eine geschickte Strategie, die Humor mit politischem Kalkül verbindet.

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Marketing-Lehrstunde aus dem "Brat Summer"

Der "Brat Summer" bietet wertvolle Erkenntnisse für die Marketing-Bubble:

  • Alles kann zur Lifestyle-Marke werden: Charli XCX’s „BRAT“ ist mehr als nur Musik - es war eine Haltung, die viele junge Menschen während eines chaotischen Sommers anspricht. Marken müssen ihre Zielgruppe kennen und authentisch mit ihr kommunizieren.

  • Aktive Teilnahme fördern: Marken sollten ihren Fans, und die, die es werden wollen, ermöglichen, aktiv mitzuwirken und ihre Botschaft zu verstärken. Tools wie der BRAT-Meme-Generator zeigen, wie Kreativität und Teilnahme gefördert werden können.

  • "Chill" sein: Besonders bei der Ansprache von Generation Z ist es wichtig, authentisch und entspannt zu wirken. Diese Generation legt Wert auf mentale Gesundheit und rebelliert gegen traditionelle Karriere- und Gesellschafts-Normen.

  • Organisches Sharing fördern: Memes gedeihen, wenn sie organisch und von unten nach oben verbreitet werden. Marken sollten den Raum geben, sodass man selbst die Erzählung übernehmen und weiterführen kann.

  • Mainstream-Erfolg akzeptieren: Wenn eine Kampagne so groß wird, dass sie ihren „Coolness“-Faktor verliert in der Nische nach dem ersten Knall, bedeutet das, dass sie erfolgreich ist. Der Schritt in den Mainstream eröffnet neue Chancen, mit einem breiteren Publikum.

Simple ist Trumpf

Verkomplizieren bringt nichts. Charlis ikonisches Cover zeigt, dass eine starke Aussage in einer einzigen Farbe und einem einzigartigen Schriftzug stecken kann. Weniger ist oft mehr, wenn es darum geht, sich mit den Menschen zu verbinden. Eine einfache, aber kraftvolle Botschaft kann Aufmerksamkeit auf sich ziehen und eine tiefere Verbindung schaffen.

Für etwas Größeres stehen

Mehr als nur ein Produkt sein. Der „Brat Summer“ steht für Selbstbewusstsein und Individualität. Marken sollten spontane Momente einfangen und echte Interaktionen zeigen. Wer sich für eine Sache oder Bewegung einsetzt, findet tiefere Resonanz. Authentizität und das Eintreten für eine größere Idee lohnen sich in Sachen Markenloyalität.

Individualität umarmen

Trends lassen sich nicht diktieren, denn die Gesellschaft führt das Gespräch und als Marke hört man zunächst nur zu. Nutzergenerierte Inhalte fördern und in den Mittelpunkt stellen, denn “consumer first” muss man nicht nur sagen, sondern auch meinen - auch digital. Die endlosen Remixe auf TikTok und persönlichen Interpretationen des „Brat Summer“-Stils zeigen die Kraft, eine Gemeinschaft zu fördern, anstatt sie kontrollieren zu wollen. Marken, die ihren Anhängerschaften Freiraum für individuelle Entfaltung geben, profitieren langfristig. 

Der „Brat Summer“ ist mehr als eine Musik-Promo oder Marketing-Kampagne. Es ist mehr als nur ein eingängiger Song. Es ist ein kulturelles Phänomen, das auf Selbstbestimmung, Gemeinschaft und einer Ablehnung des Gewöhnlichen basiert. Marken, die bereit sind, das Vorhersehbare abzulegen und sich auf das planbare Ungewohnte einzulassen, können eine tiefere Verbindung herstellen als je zuvor - Teil des Lebens sein statt nur Produkt oder Dienstleistung. Die Zeit ist reif, die Brat-Mentalität zu adaptieren!