Kolumne
25.9.2024
|Eat the Cat! Das ist “Meme-ocracy”
In der monatlichen Kolumne „Trend Slay“ schnappen sich Digital Media Experte Hans Neubert und Research & Analytics Experte Martin Wenk die aktuellen Trends im Digital Marketing, schütteln sie kräftig durch und servieren sie mit einer Extraportion Anwendungs-Insights für Marketeers. Hier werfen wir einen Blick auf die neuesten digitalen Strömungen, die die Welt um uns herum prägen, und fragen uns: "Sind wir in der Hype-Suppe etwa alle nur Croutons oder gibt es da draußen noch mehr zu schlucken?
Früher lief das ganz anders ab – die Kandidat:innen sind durchs Land getourt, haben Hände geschüttelt und Babys geküsst, um sich beliebt zu machen. Aber in 2024? Da sieht das Game komplett anders aus. Jetzt geht es darum, wer den besten Tweet droppt oder das viralste TikTok abliefert.
Mehr als nur Memes
Es ist kein Geheimnis, dass sich der Wahlkampf massiv verändert hat. Während Politiker:innen früher Veranstaltungen abgehalten und Flyer verteilt haben, spielt sich heute ein Großteil der politischen Kommunikation online ab. In den USA wissen jetzt schon beide Fronten: Wenn du in den Feeds nicht auftauchst, verlierst du!
Social Media hat Auswirkungen auf politische Wahlen. Eine Studie der Princeton University hat gezeigt, dass Twitter den Stimmenanteil der Republikaner in den Jahren 2016 und 2020 nachweislich gesenkt hat. Das liegt daran, dass Twitter relativ liberal mit seinen Inhalten ist. Content der gegen Donald Trump gerichtet war, könnte unentschlossene Wähler:innen beeinflusst haben, gegen ihn zu stimmen. Damit wird klar: Ein falscher Move auf Social Media und die Chance auf das Weiße Haus ist futsch. Social Media ist eben nicht nur Entertainment – an manchen Stellen wird es zur politischen Arena.
Die wahre Illusion
Die Algorithmen der sozialen Plattformen haben sich grundlegend verändert, was besonders im Kontext des aktuellen Wahlkampfs deutlich wird. In der Vergangenheit basierten sie auf dem sozialen Graphen, der eine vereinfachte Sichtweise der sozialen Netzwerke darstellt.
In diesem Modell werden Nutzende als Knoten dargestellt, während ihre Verbindungen als Linien fungieren. Der soziale Graph zeigt, welche Personen du kennst und in welchem Verhältnis du zu ihnen stehst. So bekommst du eher Inhalte von deinen direkten Verbindungen angezeigt.
Das ist allerdings Schnee von vorgestern, denn die modernen Algorithmen stützen sich zunehmend auf den Content Graph oder auch Interest Graph. Dieser basiert nicht auf den persönlichen Beziehungen, sondern auf den Interessen und Überzeugungen der Nutzenden. Einfach ausgedrückt, ist der Content Graph ein Netzwerk aus Individuen, die gemeinsame Interessen teilen und von den gleichen Themen angesprochen werden.
Ein wesentliches Problem dieser Entwicklung ist, dass du hauptsächlich Inhalte siehst, die mit deinen bereits bestehenden Überzeugungen übereinstimmen – das Resultat ist die berüchtigte “Filter Bubble”. Diese Filterblase schränkt die Vielfalt der Informationen ein, die dir präsentiert werden. Es führt dazu, dass alternative Perspektiven und Meinungen nicht mehr sichtbar sind. Sichtweisen anderer Menschen zu verstehen, wird deshalb zunehmend schwieriger. Why? Because we just don’t see them. In einer solchen Umgebung ist kein Diskurs mehr möglich, weil es einfach keine andere Sichtweise gibt.
Im TV wird diskutiert, online beginnt eine ganz andere Schlacht
Das kürzliche TV-Duell zwischen dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump und der Vizepräsidentin Kamala Harris zog nicht nur Millionen Zuschauer vor die Bildschirme, sondern entfachte auch einen regelrechten Sturm auf Social Media. Am 10. September 2024 fand das Duell in Philadelphia statt: Während sich die beiden Kandidaten auf der Bühne verbal duellierten, tobte parallel eine Schlacht online.
Bereits von dem Moment an, als Harris selbstbewusst auf Trump zuging, um ihm die Hand zu schütteln, kochten die sozialen Medien über. Ein Beitrag eines Nutzers auf X, der die Szene humorvoll kommentierte, sammelte nach genau 36 Sekunden des TV-Duells über
68.000 Likes. Harris verfolgte laut Berater:innen eine Strategie, die darauf abzielte, Trump zu provozieren, um virale Momente zu schaffen. Diese Taktik schien erfolgreich, da ihre verschiedenen Gesichtsausdrücke – mal skeptisch, mal amüsiert – sofort zu Memes wurden und eine Welle von Reaktionen im Netz auslösen. Kamala is the new Meme Queen und wurde schon in zahlreichen TikToks in Verbindung mit dem Brat Summer und Kokosnuspalmen gefeiert.
Doch Trumps kontroverse Behauptung, dass haitianische Migranten in Ohio Hunde und Katzen essen würden, sorgte für die größte Aufmerksamkeit. Eine so bizarre Aussage führte dazu, dass der Ausdruck "SIE ESSEN DIE HUNDE" (“They’re eating the dogs”) auf X schnell zum Trend wurde. Viele Nutzende diskutierten verwirrt darüber, warum dieses Thema überhaupt in einer Kandidatur angesprochen wird. Nebenher geht ein Remix und der passende Sound auf TikTok viral.
Besonders auf TikTok sorgten Videos aus Harris‘ Kampagne für enormen Zuspruch und übertrafen Trumps Content in puncto Engagement. Sie erhielt über 100 Millionen Likes, während Trump lediglich 44 Millionen erreichte. Wir sehen hier die wachsende Bedeutung von Plattformen wie TikTok, insbesondere unter jüngeren Wählern. Trumps Kampagne setzte hingegen verstärkt auf X und Facebook, wo er nach dem Duell seinen "großen Sieg" erklärte und Tausende Likes generierte.
Ein Schlüsselmoment des Abends war die öffentliche Unterstützung durch Pop-Ikone Taylor Swift, die auf Instagram Harris ihre Unterstützung mit einem Katzenbild zusicherte. Mit über 280 Millionen Followern erreichte ihre Botschaft Millionen Menschen und sammelte innerhalb weniger Stunden über 4,3 Millionen Likes, was Harris einen klaren Sieg des Abends bescherte.
Social Media als täglichen Wahlkampf sehen
Der Wahlkampf 2024 in den USA zeigt eindrucksvoll, dass Politik heute mehr Likes als Plakate braucht. Social Media ist nicht mehr nur Beiwerk, sondern der Hauptspielplatz – und wer da nicht punktet, kann gleich nach Hause gehen. Für Digital Marketeers stellt sich folgende Frage: Was können wir von Trump, Harris und einem Haufen Memes für unsere eigene Strategie lernen?
Viralität gezielt provozieren: Kamala Harris‘ Strategie, Trump durch gezielte Provokationen in virale Momente zu verwickeln, zeigt, dass es nicht nur um Inhalte geht, sondern um die Inszenierung von Momenten, die Meme Potential haben. Marketeers können ihre Marken und Produkte in ähnliche Momente platzieren, die sich wie von selbst verbreiten und Gespräche anregen.
Emotionalisierung als Motor: Die starke Resonanz auf Harris' und Trumps Aussagen verdeutlicht, dass Emotionen der Schlüssel zur Viralität sind. Politiker und Marketer wissen, dass Inhalte, die Empörung, Freude oder Überraschung auslösen, die besten Chancen auf hohe Reichweite haben. "Eat the Cat" als Meme-Moment zeigt, wie emotional geladene Aussagen eine Welle von Reaktionen generieren.
Die richtige Plattform für die Zielgruppe: Während Trump X und Facebook dominiert, punktet Harris vor allem auf TikTok. Diese Wahl verdeutlicht, den richtigen Kanal für die passende Zielgruppe zu nutzen. Für Marketeers heißt das: Die Content Strategie muss an die Demographien der jeweiligen Plattform angepasst werden. TikTok erreicht jüngere, teils politisch aktive Nutzer, während Facebook eher die älteren Zielgruppen anspricht.
Influencer und Prominente als Verstärker: Taylor Swifts Unterstützung für Kamala Harris und die enorme Reichweite ihres Instagram-Posts zeigen, wie mächtig Influencer für die Mobilisierung und Markenbildung sein können. Marketeers sollten eng mit Influencern und Meinungsführenden zusammenarbeiten, um ihre Botschaften zu verstärken und gezielt Communities anzusprechen, die für die Marke relevant sind.
Interesse vs. soziale Beziehungen: Wie der Wandel vom Social Graph zum Content Graph zeigt, sollten Marketeers stärker auf die Interessen und Überzeugungen der Nutzer
abzielen, anstatt nur auf deren soziale Verbindungen. Wer in den Feeds der Nutzer
auftauchen möchte, muss Inhalte liefern, die in die persönlichen Interessenwelten hineinpassen, um die gefürchtete Filterblase durchdringen zu können.
Diese Wahl verdeutlicht, wie soziale Medien nicht nur die öffentliche Meinung widerspiegeln, sondern sie aktiv mitgestalten. Die Plattformen haben eine zentrale Rolle bei der Beeinflussung von Wählenden und der Gestaltung der Narrative rund um Schlüsselthemen wie Wirtschaft, Abtreibung sowie die Eignung der Kandidat:innen für das Amt.